Und die Tiere schlafen mit geöffneten Augen, hellwach...

Gespräch

Gesprächsauszug, erschienen in The Big Sleep – Recherchen zur Taxidermie

2020

SG Steffen Georgi, JR Julian Rauter, AH Alisa Hecke

 

 

SG In eurem Kunstprojekt „The Big Sleep“ schaut ihr Tierpräparaten tief in die Augen. Wie kam es zu der Idee sich mit Taxidermie, der Präparation von Tieren, zu beschäftigen? 

[…] 

JR Uns hat die Darstellungsform der dort auffindbaren Tierpräparate begeistert, also, dass uns Tiere, die in der Zeit eingefroren zu sein scheinen, direkt anschauen. Und dieser Blick ermöglicht eine unmittelbare Begegnung, die die zuweilen verstaubte oder anachronistisch anmutende Aura mancher Naturkundemuseen sofort in den Hintergrund treten lässt. Es ist vielleicht auch gerade diese Gleichzeitigkeit von Vergangenem und unmittelbarer Präsenz gewesen, die uns gefesselt hat. Hinzu kam der Eindruck, dass solche Orte vor dem Hintergrund gegenwärtiger Diskurse um Artenverfall und ökologischen Wandel eine Umdeutung erfahren und zunehmend zu Orten der Erinnerung werden. Denn ein Präparat verkörpert einen Verlust, der von dem einzelnen Tier bis hin zu seiner ganzen Spezies reichen kann. Und dieser Verlust ist dort erfahrbar.

[…] 

SG Meint ihr, es gibt Parallelen zwischen euren Inszenierungsstrategien und denen der Präparator*innen? Bestimmte Spiegelungen zwischen eurer Kunst und dem Handwerk der Taxidermie? 

JR Bei der Tierpräparation gibt es für uns absolut eine Parallele zu dem, was uns in unserer Arbeit fürs Theater beschäftigt. Die Taxidermie ist ja ein Handwerk, das sich mit dem Formen, Gestalten und Inszenieren von Körpern beschäftigt. Es erhebt den Anspruch, Leben zu suggerieren, also so zu gestalten, dass zwar die künstliche Form erkennbar wird, aber so weit in den Hintergrund rückt, dass man es für lebendig hält. Ich denke, dass es in beiden Bereichen darum geht, eine gewisse Autonomie zu behaupten. Die Präsentation und darüber die Präsenz von einem Objekt einerseits und einem Menschen auf der Bühne andererseits. 

[…] 

AH Ein zentrales Thema des Projekts ist der menschliche Umgang mit Verlust, insbesondere die Schwierigkeit, zu akzeptieren, dass etwas vergeht – gerade dann, wenn es uns besonders am Herzen liegt. Wie kanalisiert sich ein solches Bedürfnis nach Erhalt, der Drang, etwas fest- oder aufzuhalten? 

JR Hinzu kommt das Thema der Repräsentation. Denn ein Präparat ist quasi bildgewordenes Leben. Repräsentiert wird ja immer etwas, das nicht da ist. Aber bei Präparaten gibt es diese faszinierende Unschärfe: Ist das Präparat auf der einen Seite ein Bild, so gibt es an diesem Bild etwas, das unzweifelhaft echt ist, nämlich die Haut. Der restliche Tierkörper wird verworfen. Es gibt im Tierpräparat also etwas real Abwesendes, etwas, das nicht nur nicht da ist, sondern schlicht und ergreifend weg ist. Mithilfe eines anwesenden Überrestes von etwas vormals Lebendigem verkörpert es die Abwesenheit, den Verlust. Ein solches Bildgebungsverfahren unterscheidet sich dann schon von dem der Malerei auf Leinwand. 

[…] 

SG Eure Arbeit eröffnet die Möglichkeit, so einem Präparat in die Augen zu schauen und sich zu fragen, was da eigentlich, von wo zurückblickt. Es scheint mehr zu wissen als ich. Ich halte also Zwiesprache mit einem Artefakt, das verkörpert und vergegenwärtigt, was uns bevorsteht: das Verschwinden, das Vergessen. Von dort her blickt das Präparat. 

JR Wenn man so will, ist darin einiges vom prophetischen Blick des blinden Sehers enthalten. Und die im Theater etwas aus der Mode gekommene Praxis, solchen Figuren auf die geschlossenen Lider falsche Augen zu malen. Das Präparat mit seinen Glasaugen wird Medium der Zukunft und spiegelt uns in seinem leeren Blick all das, was wir nicht begreifen können – und dabei bleibt es stumm. 

[…] 

SG Die Vorstellung, dass die Welt irgendwann wieder menschenleer sein wird, kann eigentlich nur die Kunst erzählen. 

JR Und die Kunst der Präparation eignet sich besonders gut, diese Vorstellung oder Erinnerung zu ermöglichen, weil sie den Tod eines Tieres zur Voraussetzung hat und damit ein Bewusstsein von der Endlichkeit organischen Lebens vermittelt, auch wenn sie zeitgleich die Illusion unendlich langen Lebens aufrecht zu erhalten bestrebt ist. 

SG Eine schwer greifbare Aura, die von solchen Objekten ausgeht. 

JR Und auf dieses schwer Greifbare, diese abhanden gekommene Trennschärfe, inwiefern das Tier lebendig ist, lediglich schläft oder aber tot ist, verweist auch der Titel „The Big Sleep“. 

SG Die Suggestion ist entscheidend, dass das Tier wieder erwacht. The Big Sleep: In eurem Titel schwingt ja auch das mit. Wie auch die Suggestion, dass das Tier wieder erwacht, oder erwachen könnte. 

JR Sie sterben als Tier, aber erwachen als Bild. Im Bild schwingt diese Wiederauferstehung mit, dieses Erwachen, und sei es auch ein Erwachen als menschengemachtes Artefakt.