Presse
[…] Das Kunstfest Weimar hat sich ähnlich wie Salzburg erfolgreich gegen die Umstände gestemmt und mit aller Kraft ein Programm präsentiert, das so umfangreich ist, als gelte es vor allem zu beweisen, dass trotz Corona nicht nur einiges, sondern sehr vieles möglich ist. An einem Tag kann man hier zum Beispiel eine Präparatoren-Performance miterleben, in deren Verlauf ein echter Waschbär ausgestopft wird. Mit deutlichem Verweis auf Beuys und die Folgen hat das junge Leipziger Kollektiv Hecke/Rauter/Willmann sich die auratische Aufladung des Tierkörpers zum Thema gemacht und mit dem Dialog dreier Schauspieler über die Oberflächlichkeit unserer Trauer-Kultur kombiniert. Spannend sind vor allem die eingespielten Interviews mit Präparatoren, die von ihrer Arbeit als Ausdruck des Zeitgeistes sprechen: Dass heute beispielsweise ein Wolf nicht mehr zähnefletschend aufbewahrt werde, entspreche der allgemeinen emotionalen Neutralität unserer Tage.[…]
Simon Strauss, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.9.2020
The Big Sleep
Performance
[…] Ein Theaterprojekt, das den Gegenstand seiner Reflexion dekorativ ausstellt, ohne zu dick aufzutragen. Ein ausgestopfter Bär hier, eine Taube dort. In der Mitte des Tableaus dreht eine kleine, runde Bühne Katharina Bill, Nina Maria Wyss und Malte Scholz im Kreis. Die Schauspieler schlüpfen in die Rolle von Tierpräparatoren, als befänden sie sich im zwanglosen Feier- abend-Plausch. Der ist beim Einlass schon im Gange. Das Publikum darf sich als heimlicher Ohrenzeuge fühlen. […] Wenn dann Präparatoren von der Schönheit von Nashörnern schwärmen oder ihre Kommunikations- rituale mit den auszustopfenden Kadavern offenbaren, um den angemessenen, finalen Ausdruck zu finden, dann entsteht ein locker geknüpfter Erzählstrang der Skurrilitäten. Doch der Abend bricht die Stoßrichtung auf, wechselt von der Erzählung zur Reflexion, denkt über Zeit und Vergänglichkeit nach, über Darstellung und Wirkung der Präparate in verschiedenen Epochen, über die Essenz dessen, was als äußerer Schein übrig bleibt.[…]
Dimo Rieß: Präparatoren im Diskurs, Leipziger Volkszeitung, 21.6.2020
Erinnerungen für Morgen
Recherche
Futur II ist etwas Tolles. Zum Beispiel kann man damit die Frage „Was wird gewesen sein?“ stellen. Was wird von dem, was uns heute umgibt, noch da sein und was nicht in einer Zukunft, wie nah oder fern auch immer? Hecke/Rauter/Willmann sind einer dieser Künstlergruppen. „Erinnerungen für Morgen“ heißt, was sie zeigen. (…) Eine Installation, die zugleich Etappe eines Work in Progress ist. Anhand von Objekten und Texten ermöglichen sie Einblicke in den Recherchestand eines geplanten Stückes – und auf eine seltsam faszinierende Parallelwelt außerdem. Der Ausgangspunkt für „Erinnerungen für Morgen“ war der Eindruck eines Paradigmenwechsels in den Ausstellungen von Naturkundemuseen. Früher sei man mit einem staunenden „Wow, was alles da ist!“ durch die Räume gegangen, heute immer öfter mit einem „Wow, was alles da war!“ Es ist der Eindruck, dass „vieles, was wir betrachten, sukzessive aussterben wird“, der den Impuls setzte.
Die Frage „was wird Morgen gewesen sein?“ ist die Basis für Reflexion, die „Erinnerungen für Morgen“ versucht. Und was sich auf dieser Basis versammelt ist nicht zuletzt eine „Illusion von stillgestellter Zeit“. Das meint hier: Tierpräparate. „Das hat auch rein formal einen Bezug zu unseren bisherigen Arbeiten“, so die Künstler. „Das Stillstehen, das Skulpturale. Diese Tierpräparate passen da hinein. Das Präparat ist eine Illusion von stillgestellter Zeit.“ Und im konkreten Fall, kann man der jetzt sozusagen Auge in Auge gegenüberstehen. Auch, wenn es sich beim Präparat nur um Glasaugen handelt.
Man habe im Zuge der Recherche viele Interviews geführt, mit dem Museumspersonal durch alle Instanzen – und natürlich mit zoologischen Präparatoren: „Wir suchen und suchten natürlich welche, die etwas exaltierter sind oder ihre Arbeit vielleicht auch etwas esoterischer betrachten.“ Jedenfalls sei man vor allem auch auf solche Geschichten aus gewesen wie die von Lydia Mäder, Präparatorin aus Frohburg, die für eine Prüfungsarbeit ein weißes Kaninchen mit braunen Augen versah. „Braune Augen sind bei diesen Tieren wider die Natur“, erzählen die Künstler. Warum aber nimmt sich jemand, der in seiner Arbeit der Wirklichkeit oder wenigsten der Authentizität verpflichtet ist, derlei Freiheiten? „Präparatoren sind erst einmal Handwerker, aber bei einigen ist da eine echte künstlerische Tendenz.“ Es ginge dann auch um die Frage nach der „Seele“ oder wenigstens dem „Wesen“ des Tieres – wobei Hecke/Rauter/Willmann wiederum Mäder mit den Worten zitieren, es sei „aber eher die eigene Seele als die des Tieres im Präparat zu finden“. Das klingt ja auch schon recht schräg, faszinierend außerdem. Wie auch die Präparatoren-Aussage, dass „Seele dann vorhanden ist, wenn der Schatten des Präparates erkennen lässt, was für ein Tier es ist, dass diesen Schatten wirft.“ Der Schatten eines Tieres, das schon nicht mehr existent ist. Man ahnt die Ebenen, die sich da gerade auch für eine performative Aufbereitung eröffnen.
Steffen Georgi: Eine Illusion stillgestellter Zeit, Leipziger Volkszeitung Nr.233, 06./07.Okt.2018
Traum einer Sache
Tanz/Theater
Es grollt, kaum dass man Platz genommen hat: „Wehe euch, ihr Heuchler!“ hallt es mit einer Stimme, deren Timbre den Apostel Matthäus irgendwie nach spätem Vincent Price klingen lässt. Was im hübschen Kontrast steht zu der freundlichen Anmutung einer Bühne, auf der sich eine Fläche blass-schönen Blaus vor einem Turm kräftigen Rots ausbreitet. […] ,,Es wird sich zeigen, dass die Welt längst den Traum einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewusstsein besitzen muss um sie wirklich zu besitzen.“ Mit diesem Karl Marxschen Diktum ist, gleich einem Impulsgeber, die Inszenierung überschrieben. Und dass auf den messianischen Verkünder des Himmelreichs auf Erden ein Verkünder des himmlischen Messias folgt, ist dabei dramaturgisch stringent. Und irgendwie witzig auch. […] Dabei gelingen Rauter und Grau dann auch erst einmal wirklich starke Momente. Choreografisch komprimieren die sich in Bewegungen einer Langsamkeit, die wie die latente Aufforderung zum ruhigen Atmen und genauen Hin- schauen wirkt. Ein Tanz ins Slowmotion, voll der Zitate christlicher Ikonographie, die immer wieder aus dem Bewegungsfluss heraus auftauchen, untergehen, erneut auftauchen. Dabei wird nicht mit Virtuosität überrumpelt, sondern mit Genauigkeit hypnotisiert.
Steffen Georgi, Leipziger Volkszeitung, 28.Juni 2014
Was Julian Rauter auf die Bühne stellt, glänzt. […] Und immer diese Drift nach oben. […] Ein langer weißer Bühnenteppich und ein roter Turm, der in den dunklen Bühnenhimmel ragt, gliedern den Raum. Am Fuß des Turmes stehen drei Darsteller in Kleidern, deren farbliche Kraft und formale Reduziertheit an die Bildästhetik Kandinskys erinnern. Sie starren zu einem Fetisch hinauf, der oben am Turm schwebt. Zu einer Jacke mit der Aura eines heiligen Gewands, auf der ein goldener Greif mit der Anmutung eines Gottes seine Schwingen ausbreitet.
Christian Horn, Theater der Zeit, 10/2015
Im Maschinenhaus Essen ertönt Natur. Vogelgezwitscher dringt ans Ohr. Der Blick durchwandert die hohe Halle mit Backsteinwänden. Die Bühne: ihre leuchtend rote Hinterwand ein aufgeklappter Sargdeckel oder doch ein Triptychon? Gleich den Bildern der Marienerscheinungen geben die weißen und dezent roten Kleidungsstücke der Tänzer und das helle Blau des Bodens Hinweise. Diese sakral anmutende Szenerie, getragen von Beschwörungsgestiken, dieser zärtlichen Vertrautheit und der Gemeinsamkeit eines Visionären, lässt die Frage von Utopie und Pathos virulent durch den Raum schweben. Man wird Zeuge einer besonderen Andacht, die sich als Ausdrucksmedium nicht die Sprache, sondern den Körper sucht. Drei Körper, die sich immer wieder ein und entfalten, um in dem sakralen Raum der Bühne eine Bewegungsmacht zu entwickeln, die dem Tod immer wieder zu entkommen scheint. Es wird auferstanden, gestorben und wiederbelebt.
Daniela Doutch, Stellwerk-Magazin
Der Grosse Komödiant
Theater
Ein Monologstück. Ein Textexzess. Und der Versuch, jene dialektische Mechanik in Gang zu setzen, in der die Exaltation als Reduktion wirkt und sich zugleich aufbricht durch jene spröde suggestive Ästhetik (Bühne: Andi Willmann, Kostüm: Alisa M. Hecke), die das Gros von Rauters Arbeiten auszeichnet. […] „Der Text ist das Schiff“, sagte einmal der große Jürgen Holtz. Soll heißen: Nicht der Schauspieler trägt den Text, sondern der Text den Schauspieler. Rauter hat das begriffen. Auch bei ihm ist der Text (sind die Texte) das Schiff. Zugleich aber noch Strömung, Ausuferung, Strudel. Sandbank. Eine semantische Flusslandschaft aus Sprache und Schriftprojektionen. Eine, die über die Ufer des Gewohnten tritt mit Diderots „Paradox über den Schauspieler“, Descartes „Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs“, Henri Bergsons „Das Lachen“ und Edward Gordon Craigs „Über die Übermarionette“. Treibgut von Shakespeare und Beckett nicht zu vergessen. Schauspieler Alexander Blühm spricht das auf die einzig mögliche Art. Sich eben tragen lassend in einer wie entrückt somnambulen Tonlage, einer geradezu rituell wirkenden Aktivierung gestischer und sprachlicher Feinmechanik. In diesem kargen Wie kanalisiert sich das Was markanter als in jedweder darstellerischen Illustration. Es geht um das Paradox von dem Diderots Text spricht: um Darstellungstechnologien des Gefühls, um die vom Schauspieler rational geschaffene Suggestion eines emotionalen Zustands.
Stefan Georgi, Leipziger Volkszeitung, 29. Juni 2015
In „Der grosse Komödiant“ sehen wir Alexander Blühm als Komödianten bis zur 45. Spielminute auf einer Drehbühne liegen […]. Vorne links auf der Bühne hält sich einen Meter hoch ein schwarzer Gasballon mit einer aufgemalten Totenfratze. Und hinten links wird sich der Komödiant später auf einen langen weißen Tisch legen, in einen Kasten gebettet, und wie in jeder berechenbaren Zaubershow zersägt und doch nicht zersägt werden. Zu einem Bach-Choral wird er in den Bühnenhimmel gezogen, wo er Descartes’ Gottesbeweis aufsagt. […]Bühneneinrichtungen auf der Grenze zwischen Skulptur und Theater, welche die Zeit dehnen. Textcollagen, die sich der Banalität verweigern: Die Hybris tut gut.
Christian Horn, Theater der Zeit, 10/2015
Nacht und Träume
Theaterinstallation
Nacht und Traum. Erscheinen und Verschwinden. Illusion und Irritation. […] Irritierend ist die 45minütige Bewegungslosigkeit der vermeintlichen Protagonisten für das uninformierte Gehirn des ahnungslosen Zuschauers. Etwa 25 Minuten dauert es, bis jedem Zuschauer klar sein wird, hier geht es nicht um den menschlichen Körper in der Mitte der Halle. […] Was passiert, wenn im Mittelpunkt der Handlung Nebelfiguren stehen und der menschliche Körper nur als Statist fungiert? Entstanden ist ein Theaterstück sondergleichen, das nicht mehr benötigt als eine Nebelmaschine, eine Toncollage, Licht und eine bewegungslose Darstellerin. […] Die zeitweise fast beängstigende Atmosphäre im Raum entsteht insbesondere durch die Zusammenstellung verschiedener Tonszenen aus dem privaten Filmsamplearchiv des Künstlers. Atmosphärische Körperthematisierung durch Ton, das heißt Geräusche wie Schluchzen, Schreien, Weinen, Lachen, Körpergeräusche aber auch Dialog und Monologszenen. Die Samples bieten eine Fahrt durch die Hollywoodklassiker seit Beginn des Tonfilms. Darunter beispielsweise Ausschnitte der Oscarprämierten HamletVerfilmung mit Laurence Olivier von 1948, die mit der Frage nach der Existenz, dem Sein und Nicht- Sein nicht besser zum Thema Anwesenheit und Abwesenheit passen könnte. Eben solche Anziehung wie die Figur des Hamlet, bewirkt auch Schriftsteller und Nobelpreisträger Samuel Beckett auf den Theaterinstallateur. Szenen aus Das letzte Band und Warten auf Godot schaffen mit dem endlosen Warten des Menschen auf wiederum das Warten, eine weitere thematische Verknüpfung Warten auf das Sein, auf Erscheinen und Verschwinden.
Christin Pomplitz, 3Viertel, Oktober 2014
Kalavarienberg
Theaterinstallation
Ein großer quadratischer Sockel. Darauf ein grasgleicher Teppich, Miniaturbäume, -menschen, -berge. An verschiedenen Stellen ragen aus ausgefrästen Löchern in Harlekinroben gekleidete alte Frauen aus der Ebene des Dioramas hervor. Bis zur Hüfte stecken sie in dem Aufbau, die Hände vor ihnen auf dem Rasen liegend, sitzen sie still da, bewegen sich nicht. Versunken in die Miniaturlandschaft, die durch keine Eisenbahnschiene zerfurcht wird, sehen sie aus wie Riesen, ohne in diesem Umfeld fremd zu wirken. […] Die nicht-klassische Theatersituation zeigte sich von Anbeginn schon in dem Verhalten der Zuschauer. […] Was am Anfang nur zögerlich begann, entwickelte sich im Verlauf der fünfzig minütigen Darbietung zu einem Wandern und Wallfahren der Zuschauer rund um die Miniaturen und Akteurinnen des Kubischen Kalvarienbergs. Minutiöses Beäugen der verschwindend kleinen Figuren, die auf dem Pseudorasen platziert waren, wechselte mit Nahkommen und Fernbleiben, mit Rundläufen oder einfach stillem Verharren. […] Hier dominieren die im Bühnenobjekt integrierten Akteure und das was ihnen angetragen wird. Denn die alten Damen sprechen nicht, bewegen sich nicht, sind im weitesten Sinne fixiert und damit doch auch irgendwie gekreuzigt. […] – eine akustische Erinnerungsmaschine konfrontiert die reglosen Körper mit den Geräuschen einer vertrauten Vergangenheit ohne dabei rituell zu werden. Nachdenklich und poetisch ist das Klangwerk, dass an einigen Stellen durch Textpassagen und Musik gebrochen wird.
Moritz Arand, 3Viertel, November 2013
Kalvarienberg greift das gleichnamige skulpturale Motiv der französischen Kunstgeschichte auf. Auf einem überdimensionalen Tisch bildete Rauter in Modelleisenbahnmanier eine Wiesenlandschaft nach. Ein Tableau non-vivant: Die Oberkörperattrappen vier alter Menschen ragen aus dem Idyll heraus. Tonaufnahmen ihrer Lebenserinnerungen legen sich über das Stillleben.
Christian Horn, Theater der Zeit 10/2015
Epiphanie
Theater
Selbst wenn man wollte, fiele es schwer, den Blick abzuwenden von dem Mädchen, das da auf der Bühne steht. Blass wirkt sie und in sich gekehrt. Ihre Präsenz löst ein Unbehagen aus und doch hängt man bei je- dem Wort an ihren Lippen. […] Zu Beginn wird das Mädchen im sakralen Engelskostüm vom Schnürboden herabgelassen.[…] Von da an steht sie meist in der Bühnenmitte und gibt Texte unter anderem von Foucault, Dostojewski, Samuel Beckett und Ingeborg Bachmann wieder. Mal tritt sie dabei unruhig auf der Stelle, mal zieht sie ihre dünnen Arme aus den großen Taschen der Robe, in der sie steckt. Mit jeder Bewegung unterstreicht Ruhland das Gesagte auf eine subtile und doch eindringliche Weise. Sie blickt ins Leere, spricht zu niemandem bestimmten und doch zu allen im Raum. Sätze, die mit »Erinnern Sie sich noch« beginnen, lassen den Zuschauer aufhorchen. Sie richtet das Wort an uns, wenn sie über den Körper als unentrinnbaren Ort, über die Zeit und die Kindheit spricht.
Doreen Kunze, Kreuzer Online, 23. Mai 2013
Mit einem zwölfjährigen Mädchen inszeniert Julian Rauter in einem weißen kühlen Kubus einen einstündigen Monolog, in dem nahezu nichts passiert und der im Zuschauer doch so vieles auslöst. Lebensalter-gesättigte Texte, deren Inhalte der Sprecherin nicht immer klar sind, erhalten eine schwer erträgliche Tiefe. Die brüchige Stimme der Darstellerin, ihre luzide Erscheinung, ihre schüchternen Gesten, deren Ausführung man körperlich mitspürt machen den Abend zu einem äußerst seltsamen und nachdenklichen Erlebnis. Ein mutiges Stück Theater, dass durchaus polarisiert.
Jurybegründung zu Nominierung von Epiphanie zum Bewegungskunstpreis 2013