von Alisa Hecke mit Julian Rauter
im Rahmen des Moduls Transkulturelles und transdisziplinäres Kuratieren des Universitätslehrgangs „Kuratieren in den szenischen Künsten“
Transdisziplinarität
Interview
2020
JR Julian Rauter, AH Alisa Hecke
AH Was verstehst du denn unter Transdisziplinarität? Ist dir der Begriff geläufig?
JR Tatsächlich ist mir Interdisziplinarität geläufiger als Transdisziplinarität. So wie ich das verstehe, bedeutet trans-, das nicht etwas zwischen den einzelnen Disziplinen hin und her geht, sondern quasi daraus heraus und über beide Disziplinen hinaus geht. Also, dass etwas daraus entsteht, das mehr ist als 1+1.
1+1=3. 3 ist Transdisziplinarität.
AH Meinst du etwas, das eine eigene Gattung ergibt?
JR Man könnte auch von den Synergieeffekten sprechen. Es geht nicht allein um das gegenseitige Befructen sondern um ein Produkt, das mehr ist als die Summe seiner einzelnen Teile. Allerdings ist mir Interdisziplinrität geläufiger und etwas, das ich in Projektanträgen vorfinde, die mir vorliegen.
Aus der Perspektive des Fachbeiratsmitglieds für spartenübergreifende Projekte fällt es schon auf, dass bestimmte Begriffe verwendet werden, um a) das Projekt aufzuwerten und b) um in diese Kategorie zu gelangen, wo das Konkurrenzfeld unter den Teilnehmern nicht so stark ausgeprägt ist.
AH Was meinst du damit?
JR Im Bereich Darstellende oder Bildende Kunst gibt es sehr, sehr viele Akteure, die alle um eine begrenzte Mittelanzahl kämpfen. Und die Chancen werden von einigen Projektträgern höher gewertet, dass man im Bereich des Spartenübergreifenden Gelder akquirieren kann als in den hart umkämpften oder von etablierten Größen regelmäßig frequentierten Fördersegmenten. Das ist nicht moralisch verwerflich, es trifft nur nicht den Kern von einem genuin interdisziplinären Vorhaben. Aber abgesehen von solchen eher strategischen Erwägungen mancher Antragsteller, betrachte ich für eine diverse Kulturlandschaft, spartenübergreifende Fördermaßnahmen als eminent wichtig.
Zum einen, weil es Künstler*innen gibt, die sich nicht in dem einen, klassischen Förderbereich zugeordnet fühlen. Also, eine Theatermacherin, die viele Arbeiten im Ausstellungskontext realisiert, ist vielleicht im klassischen Theaterbereich nicht so aufgehoben.
Und es ist zum anderen der Wunsch einzelner Akteure, – und sei es nur projektweise – die eigene Sparte ein Stück weit zu verlassen oder Kooperationen und Arbeitserfahrungen mit Künstlern anderer Sparten zu machen. Zum Konzeptstand ist dann vielleicht noch gar nicht klar, wie das aussehen kann, oder welchem Genre das unterzuordnen wäre. Weil nicht das Ergebnis der Triebmotor ist, sondern der gemeinsame Prozess des künstlerischen Denkens und Interagierens und Ausprobierens. Und ein solcher Wunsch von Seiten von künstlerisch Schaffende, sollte unbedingt unterstützt und ermöglicht, d.h. gefördert werden.
AH Hierbei ist natürlich ein entscheidender Punkt, wie die Fachbeiräte zusammengesetzt sind.
JR Ja, im Fachbereich Darstellende Kunst sitzen über- wiegend Akteure und Entscheidungsträger, die ein sehr spezifisches, oftmals klassisches Genreverständnis haben und entsprechend gar nicht den gedanklichen Horizont besitzen oder die Erfahrungswerte oder das Verständnis einer Form, die mit ganz unterschiedlichen Mitteln und Medien arbeitet. Und dass das trotzdem was Zeitbasiertes, Performatives ist.
Und solche Fachbeiratsmitglieder haben dann natürlich Probleme mit Projekten, die aus ihrem eigenen Selbstverständnis und Kunstverständnis heraus Performances erstellen. So, und ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Der gilt auch für die Bildende Kunst und das kann auch für Musik oder Film gelten, dass da Fachbeiräte sitzen, die ein ganz anderes Verständnis haben. Da ist der Fachbeirat für spartenübergreifende Projekte, wie ich ihn bei der Kulturstiftung Sachsen kenne, spannend, weil da wirklich Experten aus den unterschiedlichen Bereichen zusammensitzen und gemeinsam mit ihren ganz unterschiedlichen Perspektiven auf die Konzepte gucken. Und die Erfahrung zeigt eigentlich, dass da ziemlich schnell und unproblematisch ein Konsens entsteht, was als ein guter und inhaltlich überzeugender Projektantrag bewertet wird. Man könnte sogar so weit gehen, dass man im Fachbeirat der Bildenden oder Darstellenden Kunst schaut, dass man da Leute aus anderen Bereichen mit hinzuzieht. Auch wenn das schon bei einigen vereinzelten Förderinstitutionen so praktiziert wird, gibt es da bundesweit noch einiges an Nachholbedarf.
AH Ich würde einwenden, dass es in den klassischen Genres bereits starke Hybridisierungstendenzen, also die Vermischung von zeit- und raumbasierten Künsten, gibt. Musiktheater wird trotzdem der Darstellenden Kunst zugeordnet, auch wenn die Akteure gemischt aufgestellt sind… Bedarf es bestimmter Fördermaßnahmen für spartenübergreifende Projekte?
JR Überall wo raumbasiert und/oder kollektiv gearbeitet wird, gibt es ganz klar den zunehmenden Bedarf nach einer temporären und bezahlbaren räumlichen Infrastruktur, die zudem im städtischen Raum liegt und damit im Radius des Erreichbaren liegt und die kollektive Arbeitsprozesse ermöglicht. So könnte ein Förderinstrument sein, dass man sich nicht nur um Projektmittel, sondern auch auf infrastruktureller Ebene bewerben kann. Also quasi städtische Residenzen für lokale Künstler. Solche Angebote gibt es zwar bereits vereinzelt. Auf städtischer Ebene aber verunmöglicht häufig die Gesetzgebung da einiges. Bsplw. dass ein Kulturamt im Besitz solcher Studios kommen darf und diese für Projektträger zur Verfügung stellen könnte.
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AH Gibt es Arbeiten, die du erinnerst, die für dich eine besonders eindrückliche Verschränkung von Raum- und Zeiterleben geboten haben?
JR Das letzte, woran ich denke, war eigentlich James Turell „Aural“ im Jüdischen Museum Berlin. Man kommt in einen Vorraum, von wo man einzeln durch eine relativ kleine Tür oder Schleuse einen dahinterliegenden Raum betritt, der in seinen Dimension zunächst gar nicht zu fassen ist. Im Grunde ist es ein White Cube ohne Kanten. Man sieht keine Ecken, keine Fugen, was die Desorientierung noch verstärkt. Der Raum wird farblich illuminiert, doch die Lichtquelle ist nicht auszumachen. Die Farben leuchten quasi aus sich heraus, wie ein Rothko-Gemälde. Wenn man sich diesem Lichtfeld annähert, entdeckt man eine Kante, an der man in einen weiteren Raum guckt, der unendlich scheint. Und das ist eine unheimlich schöne Erfahrung, gerade dann, wenn weitere Besucher mit in der Installation sind. Wenn man die anderen an der Kante stehen sieht, ergeben sich ganz schöne Raum-Körper-Konstellationen oder -Dimensionen, fast performative Momente. Und die Zeitlichkeit entsteht eigentlich dadurch, dass man selbst durch die Raumwirkung so affiziert ist, dass man das nicht nur registriert, scannt und abspeichert, sondern auf allen Wahrnehmungsebenen in sich wirken und arbeiten lässt.
AH Ich versuche deine Schilderung mit meiner Seherfahrung dieser Arbeit abzugleichen. Und ich erinnere mich an eine fast filmische Qualität, indem ich einen dunklen Raum betrete und damit quasi die Türen zur Realität hinter mir verschlossen werden und plötzlich stehst du in einem Lichtraum. Durch die Lichtwechsel in unterschiedlichen Tempi und Rhythmik sind deine Augen total stark gefordert. Und diese Lichtkomposition ergibt eigentlich auch ein Narrativ. Der Farbraum wandelt sich durch Farbverläufe, durch stroboskopartige Blitze, durch Nebeleinsatz so, dass du den selben Raum innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne ganz unterschiedlich siehst, also quasi verschiedene Räume durchschreitest. Und ich fand es auch spannend, anderen Menschen bei ihrer Raumerkundung zuzuschauen, wenn man selber schon so satt von der Erfahrung war, dass man sich hingesetzt hat. In mir gibt es in solchen Erfahrungs- und Wahrnehmungsmomenten immer den Wunsch, die dahinterliegende Systematik zu verstehen. Das wirkt auf mich ganz beruhigend, wenn ich auch in einer James Turell-Ausstellung am zweiten Tag nach der Eröffnung Fehler entdecke. Dort findet man dann auf dem tollen, weißen Plastikboden schwarze Striemen. Ich suche schon nach diesem Realitätseinbruch, dass das Werk nicht unantastbar bleib.
JR Dieses Erlebnis hat mich schon beeindruckt und auch meine letzte Arbeit inspiriert. Das ist vielleicht eine Binsenweisheit, aber das zeigt auch, inwiefern wir durch andere Sparten affiziert werden, in dem Fall, um eine Theaterarbeit zu entwickeln. Es gibt kein in sich hermetisch abgeschlossenes Genre. Kunst lebt durch Wechselwirkung und gegenseitiger Beeinflussung. Die gegenseitige Beeinflussung und das Integrieren verschiedener Medien ist doch eigentlich Status Quo. Warum gibt es dann das Spartenübergreifende, wenn ohnehin schon überall drin ist? Meiner Erfahrung im Fördersystem nach, sind 80% der Anträge im Bereich spartenübergreifender Projekte dezidiert nicht spartenübergreifend. Sondern die versuchen ihre Projekte eben noch hier unterzubringen, weil sie die nicht in ihrer Sparte durchbekommen haben. Ein Theaterstück mit ei- ner angehängten Lesung ist nicht spartenübergreifend, sondern markiert ein Rahmenprogramm. Die Zusammenarbeit mit einer Soundkünstlerin für ein Theaterstück ist Usus und nicht spartenübergreifend. Das zeigt aber im Grunde nur, wie wenig fest ein spartenübergreifendes, oder transdisziplinäres im Selbstverständnis auf institutioneller und künstlerische Ebene vielerorts verankert ist.
AH Also, wann beginnt etwas wirklich ein transdisziplinäres Projekt zu sein?
JR Das ist etwas, das bei den Konzepten anfängt und nicht erst mit dem Cast. Das hat auch was Mut und Neugier zu tun. Der Gedanke eines transdisziplinäres Vorhabens ist: Ich will mit anderen Perspektiven zusammenarbeiten, die über meinen Tellerrand hinausweisen.